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Fünfzig Verse über die Natur des Bewußtseins

Die Lehre der Nur - Manifestation

aus : Thich Nhat Hanh; Aus Angst wird Mut

 

Teil 1 Speicherbewußtsein (Erinnerung)

 

1. Der Geist ist ein Feld, das alle Arten von Samen aufnimmt. Dieses Geistfeld kann man auch "alle Samen" nennen.

2. Eine unendliche vielfalt von Samen bigt es in uns, Samen des Samsara und Samen des Nirwana, Samen der Verblendung  und Samen der Erleuchtung, Samen des leidens und des Glücks, Samen der Wahrnehmung, der Namen und Begriffe.

3. Samen, die als Körper und Geist manifest werden, als Daseinsbereiche, Stufen und Welten, sind sämtlich in unserem Bewußtsein gespeichert. Deshalb wird es Speicherbewußtsein genannt.

4. Einige Samen sind uns angeboren, sie wurden uns von unseren Ahnen vererbt. Andere wurden gesät, als wir uns noch im Mutterleib befanden, wieder andere gehen auf unsere Kindheit zurück.

5. Seien sie nun von Familie, Freunden, der Gesellschaft oder durch Erziehung übertragen, alle unsere Samen sind sowohl individueller als auch kollektiver Natur.

6. Die Qualität unseres Lebens hängt von der Qualität der Samen ab, die tief in unserem Bewußtsein ruhen.

7. Die Funktion des Speicherbewußtseins ist es, die Samen und ihre entsprechenden Gewohnheitsenergien aufzunehmen und zu bewahren, damit sie in der Welt manifest werden oder weiter ruhen können.

8. Manifestationen aus dem Speicherbewußtsein werden als "Dinge-an-sich" wahrgenommen oder als Abbilder von Dingen oder als bloße Vorstellungen. Alle sind in den 18 Elementen des Seins enthalten.

9. Sämtliche Manifestationen tragen die Zeichen  sowohl des Individuellen als auch des Kollektiven. Die Reifung des Speicherbewußtseins funktioniert ebenso durch seine Teilhabe an den verschiedenen Stufen und Daseinsbereichen.

10. Unverstellt und unbestimmt fließt das Speicherbewußtsein in dauernder Veränderung. Gleichzeitig ist es mit den 5 universellen geistigen Gebilden versehen.

11. Obwohl vergänglich und ohne eigenständiges Selbst, enthält das Speicherbewußtsein sämtliche Phänomene des Kosmos -sowohl bedingte als auch unbedingte- in Form von Samen.

12. Samen können Samen hervorbringen. Samen können Gebilde hervorbringen. Gebilde können Samen hervorbringen. Gebilde können Gebilde hervorbringen.

13. Sowohl Samen als auch Gebilden wohnt die Natur des Interseins und der wechselseitigen Durchdringung inne. Das eine wird hervorgebracht von allem, alles hängt vom einen ab.

14. Das Speicherbewußtsein ist weder gleich noch verschieden, weder individuell noch kollektiv. Gleichheit und Vielfalt bedingen und durchdringen  einander. Das Kollektive und das Individuelle bringen einander hervor.

15. Wird Verblendung überwunden, herrscht Verstehen vor und das Speicherbewußtsein ist keinen Trübungen mehr unterworfen. Es wird zur Großen Spiegelgleichen Weisheit und spiegelt den Kosmos in allen Richtungen. Sein name lautet nun Reines Bewußtsein.

 

Teil 2  Manas (Ego)

 

16. Samen der Verblendung bringen die geistigen Gebilde des Begehrens und Anhaftens hervor. Diese Kräfte bestimmen unser Bewußtsein sobald Körper und Geist manifest werden.

17. Manas entsteht gestützt auf das Speicherbewußtsein. Seine Funktion ist das Begreifen. Es greift nach den Samen, die es für ein "Selbst" hält.

18. Manas Objekt ist das Zeichen eines Selbst, das sich im Feld der Abbilder findet, dort, wo Manas und Speicherbewußtsein sich berühren.

19. Als Basis alles Heilsamen und Unheilsamen in den übrigen sechs manifest werdenden Bewußtseinsformen, unterscheidet Manas unaufhörlich. Seiner Natur nach ist es sowohl unbestimmt als auch verdunkelt.

20. Manas hängt zusammen mit den 5 universellen geistigen Gebilden, mit "Mati" von den 5 Speziellen sowie mit den 4 Haupt- und mit 8 Nebenplagen des Geistes. Sie alle sind unbestimmt und verdunkelt.

21. Wie der Schatten der Form folgt, folgt Manas stets dem Speicherbewußtsein. Manas ist der fehlgeleitete Versuch, durch die Suche nach Dauerhaftigkeit und blinder Befriedigung zu überleben.

22. Ist die erste Stufe des Bodhisattva-Pfades erlangt, sind die Hindernisse des Wissens und die Geistesplagen verwandelt. Auf der Zehnten Stufe transformiert der Yogi den Glauben an ein eigenständiges Selbst, und das Speicherbewußtsein ist von Manas befreit.

 

Teil 3  Geistbewußtsein  (Verstand)

 

23.  Mit Manas als Basis und den Phänomenen als Objekten wird das Geistbewußtsein manifest. Der Bereich seiner Wahrnehmung ist der umfassendste.

24. Das Geistbewußtsein verfügt über 3 Arten der Wahrnehmung. Es hat Zugang zu den 3 Feldern der Wahrnehmung  und kann von dreifacher Natur sein. Alle geistigen Gebilde, universelle, spezielle, heilsame, unheilsame und neutrale, werden im Geistbewußtsein manifest.

25. Das Geistbewußtsein ist die Wurzel aller handlungen von Körper und Sprache. Es ist seine Natur, geistige Gebilde manifest werden zu lassen, seine Existenz ist jedoch nicht kontinuierlich. Das Geistbewußtsein lässt Handlungen entstehen, die zur Reifung führen. Es spielt die Rolle des Gärtners, der alle Samen aussät.

26. Das Geistbewußtsein ist ständig in Funktion, außer in Zuständen des Nicht- Wahrnehmens, der 2 Verwirklichungen, dem Tiefschlaf, der Ohnmacht oder dem Koma.

27. Das Geistbewußtsein funktioniert auf 5 verschiedene Arten: in Zusammenarbeit mit den 5 Formen des Sinnesbewußtseins, unabhängig von ihnen, zerstreut, konzentriert oder instabil.

 

Teil 4  Formen des Sinnesbewußtsein  ( unsere Sinne)

 

28. Gegründet auf das Geistbewußtsein manifestieren sich die 5 Formen des Sinnesbewußtseins, getrennt von oder zusammen mit dem Geistbewußtsein wie Wellen auf dem Wasser.

29. Das Feld ihrer Wahrnehmung ist das der Dinge-an-sich. Der Modus ihrer Wahrnehmung ist direkt. Ihre Natur kann heilsam, unheilsam oder neutral sein. Sie arbeiten aufgrund der Sinnesorgane und des Empfindungszentrums des Gehirns.

30. Sie treten mit den universellen, den speziellen und den heilsamen, den grundlegend und zweitrangig unheilsamen sowie den unbestimmten geistigen Gebilden in Erscheinung.

 

Teil 5   Die Natur der Wirklichkeit

 

31. Bewußtsein beinhaltet stets Subjekt und Objekt. Selbst und andere, innen und außen sind sämtlich Kreationen des konzeptuellen Geistes.

32. Bewußtsein hat 3 Teile, Wahrnehmender, Wahrgenommenes und Ganzheit. Alle Samen und geistigen Gebilde sind gleich.

33. Geburt und Tod sind von Bedingungen abhängig. Bewußtsein ist von Natur aus eine unterscheidende Manifestation. Wahrnehmender und Wahrgenommenes hängen voneinander ab als Subjekt und Objekt der Wahrnehmung.

34. In individueller und kollektiver Manifestation sind Selbst und Nicht-Selbst nicht zwei. Der Zyklus von Geburt und Tod vollendet sich in jedem Augenblick. Bewußtsein entwickelt sich im Ozean von Geburt und Tod.

35. Raum, Zeit und die 4 großen Elemente sind sämtlich Manifestationen des Bewußtseins. Im Prozess des Interseins und der wechselseitigen Durchdringung gelangt unser Speicherbewußtsein in jedem Augenblick zur Reife.

36. Wesen werden manifest, wenn die Bedingungen ausreichen. Reichen die Bedingungen nicht mehr aus , erscheinen sie nicht länger. In Wahrheit gibt es kein Kommen, kein Gehen, kein Sein und kein Nichtsein.

37. Wenn ein Samen ein geistiges Gebilde entstehen lässt, handelt es sich um die Primärursache. Das Subjekt der Wahrnehmung hängt vom Objekt der Wahrnehmung ab. dies nennt sich Objekt als Ursache.

38. Günstige oder nicht hinderliche Bedingungen sind unterstützende Ursachen. die 4. Art der Bedingung ist die Unmittelbarkeit der Fortdauer. 

39. Wechselseitig abhängige Manifestation hat 2 Aspekte, verblendeten Geist und wahren Geist. Verblendeter Geist ist die Konstruktion von Abbildern. Wahrer Geist ist erfüllte Natur.

40. Das Konstruierte erfüllt den Geist mit Samen der Verblendung, was zum Elend von Samsara führt. Das Erfüllte öffnet das Tor der Weisheit zum Bereich der Soheit.

 

Teil 6   der Pfad der Praxis

 

41. Über die Natur der wechselseitigen Abhängigkeit zu meditieren, kann Verblendung in Erleuchtung verwandeln. Samsara und Soheit sind nicht zwei. Sie sind ein und dasselbe.

42.  Noch während die Blume blüht, ist sie bereits Kompost, und der Kompost ist schon in der Blume. Blume und Kompost sind nicht zwei. Verblendung und Erleuchtung bedingen und durchdringen einander.

43. Fliehe nicht Geburt und Tod. Blicke einfach tief in deine geistigen Gebilde. Wird die wahre Natur der wechselseitigen Abhängigkeit erkannt, ist die Wahrheit des Intersein verwirklicht.

44. Übe bewußtes Atmen, um die Samen des Erwachens zu gießen. Die Rechte Sicht ist eine Blume , die im Feld des Geistesbewußtseins erblüht.

45. Wenn die Sonne scheint, lässt sie alle Pflanzen wachsen. Wenn die Achtsamkeit erstrahlt, verwandelt sie alle geistigen Gebilde.

46. Wir erkennen innere Knoten und latente Neigungen und können sie verwandeln. Wenn unsere Gewohnheitsenergien sich auflösen, findet Verwandlung an der Basis statt.

47. Der gegenwärtige Augenblick enthält Vergangenheit und Zukunft. Das Geheimnis der Verwandlung liegt darin, wie wir mit eben diesem Augenblick umgehen.

48.  Verwandlung findet in unserem Alltagsleben statt. Übe mit einer Sangha, um die Arbeit der Verwandlung zu erleichtern.

49. Nichts wird geboren, nichts stirbt. Nichts gibt es festzuhalten, nichts loszulassen. Samsara ist Nirwana. Es gibt nichts zu erreichen.

50. Wenn wir erkennen, dass die Geistesplagen nichts anderes sind als Erleuchtung, können wir in Frieden auf den Wellen von Geburt und Tod reiten. Im Boot des Mitgefühls auf dem Ozean der Verblendung reisend, lächeln wir das Lächeln der Furchtlosigkeit.

 

 

Shinjinmei   von Sosan

Verse über das Vertrauen in den einen Geist



Der große Weg ist ganz einfach,
wenn du keine Vorlieben hast und aufhörst zu wählen.
Wo weder Liebe noch Hass,  wird alles klar und unverhüllt.
Wenn du jedoch die kleinste Unterscheidung triffst,
werden Himmel und Erde unendlich weit voneinander getrennt.
Soll die Wahrheit sich dir offenbaren,
Lass jede Meinung für oder gegen etwas beiseite.
Der Kampf zwischen Neigung und Abneigung
ist die Krankheit des Geistes.
Wird die tiefe Wahrheit und Bedeutung der Dinge nicht erkannt,
erschöpft sich der Geist vergeblich
und sein grundlegender Friede wird nutzlos gestört.


Der große Weg ist vollkommen wie der weite Raum,
in dem es weder ein zuviel noch ein zuwenig gibt.
Nur durch das Wählen, ob wir ablehnen oder ergreifen wollen,
erkennen wir das wahre Wesen, die Soheit der Dinge nicht.
Verstricke dich weder im Jagen nach äußeren Erscheinungsformen,
noch in der Erfahrung von Leerheit.
Bleibe heiter und gelassen in der Einheit der Dinge,
Und solche irrigen Ansichten verschwinden von selbst.
Wenn du versuchst, Aktivität zum Stillstand zu bringen,
um Passivität zu erreichen, ist dieses Bemühen selbst nur wieder Aktivität.
So lange du in dem einen oder anderen Extrem verharrst,
wirst du das Eine nicht erkennen.
Und wer das Eine nicht lebt, verfehlt beides:
Aktivität und Passivität, verfehlt das Ja und das Nein.


Die Wirklichkeit der Dinge leugnen heißt ihre Wahrheit zu verfehlen.
Nur der Leere zu folgen heißt, sich gegen die Leere zu wenden.
Hör auf zu reden und zu denken,  und es gibt nichts, was du nicht erkennen kannst.
Wenn wir zur Wurzel zurückkehren, finden wir das Wesen der Dinge.
Folgen wir den Erscheinungen, verfehlen wir die Quelle.
Im Augenblick innerer Erleuchtung gehen wir Jenseits von Erscheinung und Leerheit.
Scheinbare Wandlungen in der Welt der Leerheit  erscheinen nur aus Verblendung wirklich.


Suche nicht nach der Wahrheit, höre nur auf, Meinungen zu hegen.
Verharre nicht in dualistischen Anschauungen,  sei achtsam und folge ihnen nicht.
Gibt es auch nur eine Spur von Dies und Das, von Richtig und Falsch,
gerät der Geist in Verwirrung und verliert sich.
Obgleich jede Zweiheit aus dem Einen kommt,  hafte nicht einmal an diesem Einen.
Wenn der Geist auf dem Weg ungestört weilt,  kann nichts auf der Welt mehr verletzen.
Und wenn etwas nicht mehr zu verletzen vermag,  hört es auf, auf die alte Weise zu sein.


Wenn keine unterscheidenden Gedanken aufsteigen, hört der alte Geist auf zu existieren.
Wenn die Gedankenobjekte verschwinden,  verschwindet auch das denkende und urteilende Subjekt.
Die Dinge sind Objekte, weil es ein Subjekt gibt.  Und das Subjekt bestätigt sich als Subjekt
durch seine Abhängigkeit vom Objekt.
Versteht die Relativität und Abhängigkeit von diesen beiden,  und die grundlegende Wirklichkeit,  die Einheit der Leerheit in Allem.
In dieser Leerheit sind die beiden nicht zu unterscheiden,  und jedes von beiden enthält die ganze Welt.
Unterscheidest du nicht zwischen Fein und Grob,  so wirst du nicht zu Vorurteil und Meinung verführt.


Der erhabene Weg ist in seinem Wesen großmütig.
Er ist weder schwierig noch leicht.
Aber jene mit begrenztem Blick  sind furchtsam und unentschlossen.
Je schneller sie eilen, desto langsamer kommen sie voran.
Und das Anhaften und Greifen  ist nicht auf bestimmte Bereiche begrenzt.
Selbst das Anhaften an die Idee der Erleuchtung  lässt in die Irre gehen.
Lass einfach die Dinge ihren eigenen Weg gehen,  und es wird weder Kommen noch Gehen geben.

Lass los und folge der Natur der Dinge  und du wirst frei und ungestört wandeln.
Wenn Gedanken in Fesseln liegen, ist die Wahrheit verborgen,
denn dann ist alles dunkel und unklar.
Die Last des Urteilens bringt den Verdruss und die Erschöpfung.
Welchen Nutzen bringen denn Unterscheidungen und Trennungen.


Wenn du den erhabenen Weg erfahren möchtest,
so lehne auch die Welt der Sinne und Ideen nicht ab.
In der Tat - sie vollkommen zu akzeptieren,
kommt wahrer Erleuchtung gleich.
Der Weise verfolgt keine Ziele,  der Narr aber fesselt sich selbst.
Es gibt einen Dharma , eine Wahrheit, nicht viele.
Unterscheidungen entstehen, wenn man das nicht erkennt,
und daher dem Bedürfnis, sich anzuklammern, folgt.
Den einen Geist mit dem unterscheidenden Geist zu suchen,
ist der größte Fehler von allen.


Ruhe und Unruhe entstammen der Illusion,
Erleuchtung kennt weder Vorliebe noch Abneigung.
Alle dualistischen Ansichten entstehen aus Unwissenheit
wie Träume von Blumen in der Luft -  Es ist närrisch, sie fassen zu wollen.
Gewinn und Verlust, Richtig und Falsch,  all diese Gedanken müssen letztlich
mit einem Mal aufgegeben werden.
Wenn das Auge niemals schläft,  vergehen alle Träume  von allein.

Ist der Geist nicht den Unterscheidungen unterworfen,
werden alle Daseinsformen des Kosmos Einheit.
Das Wesen dieses einen Soseins ist ein ewiges Mysterium -
unbewegt, absolut, alle karmischen Bindungen befreiend.
Wenn alle Dinge mit dem gleichen offenen Auge betrachtet werden,
wird die zeitlose Essenz des Selbst erreicht.
Keine Vergleiche oder Analogien sind hier möglich -
in diesem Sein ohne Ursache, Grund und Beziehung.


Betrachte Bewegung in Stille und Stille in Bewegung,  so verschwinden beide,
der Zustand der Ruhe und der Zustand der Bewegung.
Und wenn die Dualitäten aufhören zu existieren,  kann selbst Einheit nicht bestehen.
Auf diese letzte Endgültigkeit  trifft kein Gesetz und keine Beschreibung mehr zu.

Der vereinigte Geist ist in Übereinstimmung  mit dem erhabenen Weg.
Wenn es den Argwohn des Fuchses nicht mehr gibt,  lösen die Leidenschaften sich restlos auf.
So endet alles selbstbezogene Trachten  und ein Leben in wahrem Vertrauen ist möglich.
Mit einem einzigen Schlag sind wir befreit von den Fesseln.
Nichts hängt an uns und wir hängen an nichts.
Alles ist leer, klar und selbsterleuchtend,  ohne Anstrengung des Geistes.
Hier haben Gedanke, Gefühl, Wissen und Vorstellung keinen Wert.
In dieser Welt der Soheit gibt es weder Selbst noch Andere.


Willst du in unmittelbare Harmonie mit dieser Wirklichkeit gelangen,
so erinnere dich, wenn der Zweifel kommt, einfach: "Nicht zwei".
In diesem "Nicht-zwei" ist nichts getrennt und nichts ausgeschlossen,
ganz gleich, wann und wo und wie - es duldet alle Widersprüche.
Erleuchtung heißt, in diese Wahrheit einzutreten.  Und diese Wahrheit ist Jenseits  von Ausdehnung  oder Zusammenziehung in Zeit und Raum.
In ihr währt ein einzelner Gedanke zehntausend Jahre.

Leerheit hier, Leerheit dort -
aber das unendliche Universum steht immer vor deinen Augen.
Unendlich groß, unendlich klein - kein Unterschied,
denn alle Definitionen sind verschwunden  und keine Grenzen sind zu sehen.
Das gleiche gilt für Sein und für Nichtsein.
Verschwende deine Zeit nicht mit Zweifeln und Argumentationen,  die mit Dem nichts zu tun haben.


Ein Ding - alle Dinge bewegen sich ineinander  und vermischen sich ohne Unterscheidung.
In dieser Verwirklichung leben heisst,  ohne Angst vor Nicht-Perfektion zu sein.
In diesem Vertrauen leben ist der Weg der Nicht-Dualität,  weil das Nicht-Duale eins ist mit dem vertrauenden Geist.

Worte!
Der Weg ist Jenseits von Sprache,
denn auf ihm gibt es
kein Gestern,
kein Morgen,
kein Heute.

 

 

Die Kai


 Wir leben unser Zen-Leben mitten im Alltag. Die Zen-Praxis, die Praxis von Zazen, ist der Mittelpunkt unseres Lebens. Alles Andere, Beruf, Familie, Studium, politisches und soziales Engagement, Sport, Freizeit und Vergnügen, ist um diesen Mittelpunkt herum angeordnet, ist auf diesen Mittelpunkt bezogen. Um unser ganzes Leben auf Zen beziehen zu können, müssen wir es auf Zen hin ordnen, in Regeln bringen. Die im Zen gültigen Regeln sind die Kai, die Ordensregeln der Sangha. Die Kai sind die Anwendung des edlen achtfachen Pfades auf das konkrete Alltagslen. Die 10 fundamentalen Kai  enthalten wirklich die Essenz.  Es geht bei allen Kai nicht um das blinde Befolgen einer Vorschrift, sondern um die eigenverantwortliche Auseinandersetzung mit den Sachverhalten, mit unseren Handlungen. Der Buddha sagte kurz vor seinem Tod, als es um die Nachfolge der Leitung der Sangha ging: „Niemand soll sich als Leiter vordrängen, die Lehrer sollen lehren, die Schüler sollen lernen. Ihr selber seid euch Schutz und Zuflucht.“ Mit dieser Meinung werden bei den Ordinationen die Kai übergeben. So können und sollen wir die Kai als Anleitung verstehen und sie sinngemäß in unserem Leben als Richtschnur verwenden. Und so besteht das Zen-Leben darin, unseren Alltag so zu ordnen, dass wir regelmäßig (möglichst in der Gemeinschaft eines Dojo) Zazen praktizieren können und die Kai zur Richtschnur all unserer Handlungen machen. Im Folgenden sind die Kai-Namen und Übersetzung aufgelistet und es sind einige Hinweise zu ihrem Verständnis gegeben. Je nach Lebenserfahrung mag jeder weitere Beziehungen sehen und berücksichtigen.

1. Dai ichi fu sessho kai
(Nicht töten)
Dass wir nicht aus egoistischen Antrieben jemanden töten wollen, dürfte klar sein. Das Thema geht aber weiter: Ohne zu töten können wir nicht leben, und wenn wir lediglich den Salat abschneiden, um ihn zu essen. Wie verhalte ich mich im Kriegsdienst? Was ist mit Notwehr? Euthanasie? Sterbehilfe? Selbstmord? Abtreibung? Kampfkünsten? Der gewinnbringende Verkauf des Aktienpaketes kann zum Hungertod vieler Menschen führen. Auf der Grundlage des fusessho kai müssen wir in jedem Einzelfall eigenverantwortlich entscheiden und handeln.

2.Dai ni fu chuto kai
(Nicht stehlen)
Auch dieses Kai umfasst viel mehr, als der Wortlaut vermuten lässt. Etwas Geliehenes nicht zurückgeben, ist auch stehlen. Wie weit kann ein für die Wirtschaft und für das Funktionieren der Gesellschaft durchaus erstrebenswerter Gewinn gehen? Der Wucherpreis ist auf jeden Fall Diebstahl, die ungerechte Entlohnung auch. Desgleichen jede Vorteilserschleichung, jedes Annehmen einer Leistung ohne entsprechende Gegenleistung. Dieses Kai reicht bis zum verantwortlichen Umgang mit Natur und Bodenschätzen.

3. Dai san fu jain kai
(Kein schlechtes Sexualleben führen)
In der alten Sangha zu Buddhas Lebzeiten galt das Zölibat und Sexualität war überhaupt kein Thema. Mit der Ausbreitung des Buddhismus in andere Länder und Kulturen wurde es eines. Die Entwicklung der Kulturen, die Gesetzgebung und die gesellschaftliche Akzeptanz haben sich immer wieder geändert. Das Thema umfasst den ganzen Bereich vom freiwilligen Zölibat, über heilige Ehesakramente bis zur freien Liebe.

4. Dai yo fu mogo kai
(Nicht lügen)
Auch dieses Kai reicht weit über den Wortlaut hinaus. Zunächst einmal ganz klar: Nicht Lügen. Und weiter: Was ist Lüge, was Wahrheit? Haben wir immer genügend Informationen, um die Wahrheit zu erkennen? Kann der Andere die ganze Wahrheit ertragen? Manchmal gibt es mehrere Wahrheiten. Was ist mit Notlügen? Werbung? Wahlversprechen? Halbwahrheiten? Taktisch klugen Formulierungen? Auch zu diesen Sachverhalten müssen wir eine eigenverantwortliche Einstellung finden, damit nicht am Ende doch die Lüge steht. Viele Menschen leiden unter ihrer eigenen großen Lebenslüge.

5. Dai go fu kosho kai
(Nahrung und Getränke nicht missbrauchen und darüber den Verstand verlieren)
Man kann sich krank essen und bis zur Bewusstlosigkeit saufen. Im Vollrausch kann man dann die anderen Kai brechen, von Lügen und Stehlen über Sexualität bis zum Töten. Hier ist wieder eigenverantwortliches Verhalten nötig. Gegen das Glas Wein mit guten Freunden haben wir nichts. Alkohol war in der alten Sangha verboten, ebenso der Handel damit. Das schließt automatisch andere Drogen mit ein. Im übertragenen Sinne meint das auch, den Menschen nichts Berauschendes zu geben, von beschönigender Trost-Religion bis zu politisch-ideologischen Versprechungen. Nicht das Bewusstsein der Leute manipulieren, nicht mit Alkohol, nicht mit Drogen und nicht mit Schönrederei. Dieses Kai meint letztlich: Keine Extase, keine Vergiftung, keine Bewusstseinstrübung.

6. Dai roku fu aku ko kai
(Nicht selbstgefällig sein und andere kritisieren)
Dieses Kai wird in der diskussionsfreudigen westlichen Gesellschaft gerne missverstanden. Es geht nicht darum, jeden Fehler zu dulden, nur um nicht zu kritisieren. Wir müssen genau unterscheiden zwischen Kritisieren und Korrigieren. Wenn die Kritik eines Fehlers sachlich richtig ist und zudem noch freundlich und ehrlich vorgebracht wird, ist sie eine wichtige Hilfe, um den Fehler zu korrigieren oder zu beseitigen. Dieses Kai wird jedoch dann verletzt, wenn die Kritik aus dem Ego kommt, den anderen runter macht, statt ihm zu helfen. Und dieses Kai wird auch verletzt, wenn vor lauter Nettigkeit und falsch verstandener Harmonisierung Fehler nicht als solche behandelt werden. Es ist ja gut, wenn die Leute sehr aktiv sind und sich einsetzen. Aber sie dürfen nicht zu der Einstellung kommen: Ich bin gut, ich bin immer da, die anderen sind schwach. Meister Deshimaru zitierte in diesem Zusammenhang ein Sutra, wo es heißt: Wenn der Meister, um viele Schüler zu haben, zu nett zu ihnen ist und sie nicht wirklich ernsthaft erzieht, so bedeutet das auch dieses Kai zu verletzen.

7. Dai shichi fu ken hozai kai
(Nicht geizig sein, nicht zuviel begehren)
Dieses Kai lehrt das Fuse, die Gabe. Man unterscheidet materielle und immaterielle Gaben. Das Fuse muss wirklich von Herzen kommen, ohne Nebenabsicht. Man erwartet keine Gegenleistung, es ist schließlich kein Handel. Nicht sich durch die Gabe Freunde kaufen wollen. Niemanden von den Gaben (materiell oder immateriell) abhängig machen. Auch Weisheit ist nötig. Wenn man immer nur gibt, hindert man den Empfänger, für sich selbst zu sorgen. Meister Deshimaru sagte: „Wenn ein reicher Mann seinem Sohn immer Geld gibt, lernt dieser nie, selbst etwas zu verdienen.“ Das größte Fuse ist das Dharma zu geben, die Buddhalehre. Dieses Fuse ist die Gabe von Frieden, Vertrauen, geistiger Freiheit. Spendenaufforderungen mögen einen guten Zweck verfolgen, sind aber schon von ihrem Aufforderungscharakter her keine Fuse. Der Dojobeitrag ist ebenfalls keine Fuse, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die Kosten für den Unterhalt und den Betrieb eines Dojo müssen selbstverständlich von den Teilnehmern aufgebracht werden. Wo sollen sie sonst herkommen?

8. Dai hachi fu rosetsu kai
(Nicht in Wut geraten)
Wut ist sinnlos, das Ego wütet gegen die äußeren Umstände. Wir müssen diese Umstände analysieren. Wodurch sind sie entstanden? Wie lassen sie sich ändern? Und wir müssen die Energie der Wut positiv nutzen. Die Zen-Geschichte ist voll von Meistern, die ihre Schüler heftig schlugen. Es war die Energie der Wut, eingesetzt mit Liebe und Mitgefühl, um den Schüler zu erziehen. Aber achtsam sein, dass das Ego sich nicht einmischt.

9. Dai kyu fu anken kai
(Keine irrigen oder dogmatischen Ego-Ansichten haben)
Jeder von uns hat seine eigenen Ansichten, teils auf Erfahrungen gegründet, teils von anderen übernommen. Aber immer entsprechen sie unserem in Kategorien gefangenem Denken, unserem Ego-Denken. Andere Menschen haben aus den gleichen Gründen ebenfalls ihre eigenen Ansichten. Gerade über nicht beweisbare Meinungen gibt es endlose Diskussionen, die oft in Feindschaft enden: Gibt es eine Seele? Ist sie ewig? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Buddha hatte sich in seiner Zeit gegen alle komplizierten Philosophien und Mythologien Indiens gewandt, ohne eine zu bevorzugen. Aus unserer Zazen-Praxis heraus können wir auch einen höheren Standpunkt finden, der verschiedene Ansichten zulässt. Die andere Ansicht nicht missachten und nicht aus falsch verstandener Harmonisierung unsere begründete Ansicht aufgeben. Wenn wir bereit, sind unser Ego aufzugeben, ist das möglich. Fanatismus ist immer schlecht.

10. Dai jiu fu bodayu bosanbo kai
(Nicht die drei Schätze missbrauchen)
Die drei Schätze Buddha, Dharma, Sangha. Die Verwendung der drei Schätze für das Ego ist die Übertretung dieses Kai. Das heißt: Nicht bequem auf Kosten der Sangha leben, nicht für eigenen Ruhm das Dharma lehren, nicht die Buddhalehre benutzen, um andere gegen ihren Willen zu beeinflussen. Nicht für sich selbst Vorteile aus den drei Schätzen ziehen wollen (Mushotoku = non Profit). Meister Deshimaru sagte, das größte Kai ist Zazen. Zazen enthält alle Kai. Während des Zazen kann man weder töten noch stehlen, keinen Alkohol trinken, nicht schlecht reden u.s.w. Zazen ist die wahre Praxis der Kai. Regelmäßig Zazen praktizieren, möglichst in Gemeinschaft und im Alltag die Kai beachten, das ist die lebendige Buddhapraxis. Und dazu braucht man nicht in Japan zu leben. Man sagt, die Ordination, und als deren Symbol das Rakusu, schützt den Bodhisattva. Nun, dieses Stück Stoff kann höchstens vor den ersten drei Regentropfen schützen. Was wirklich schützt, ist unser eigener Geist. Der Entschluss, den Buddhaweg zu gehen, Zazen zu praktizieren und gemäß den Kai zu leben, das ist der wahre Schutz, für uns selbst und für die anderen.

Mit der feundlichen Unterstützung von Günter Friedeberg
Der Text wurde aus dem Buch "Das Zen-Brevier" entnommen.

 

Sawaki Kodo

Sich selbst finden und das eigene Leben schöpfen


Der eine ist besser als der andere - lässt sich das wirklich sagen? Jeder einzelne von uns ragt wie eine Felswand meilenweit in den Himmel. Da gibt es keinen Vergleich: Du bist du, ich bin ich.

Alle machen sich über dich lustig, weil du ein Nichtsnutz bist? Du musst dich nur selbst finden. Finde deine eigenen, persönlichen Stärken. Gründe dich fest auf dich selbst, ruhe stabil in dir selbst.

Schminke - verleugnest du damit nicht dein eigenes Gesicht, indem du es in das eines anderen Menschen verwandelst? Dadurch wirkst du nur wie ein Gespenst. Die Kunst des Schminkens liegt darin, erst einmal das eigene ungeschminkte Gesicht zu verstehen und zu akzeptieren, um dann dessen Besonderheten durch die Schminke hervorzuheben. Der Wissenschaftler lebt als Wissenschaftler, der Ungelernte als Ungelernter. Wichtig ist nur, das Beste aus diesem Leben zu machen, du darfst deine Zeit nicht verschwenden.

Wenn wir zu uns selbst erwachen, dann wird uns endlich gelingen, das Beste aus unserem Leben zu machen. Doch dabei darf es keinen Stillstand geben. Wir müssen jeden Tag neu damit anfangen.

Du befindest dich in ständigem Wandel, doch in jedem einzelnen Augenblick bist du vollkommen dein wahres Selbst. Das ist nicht so wie das Bild auf der Leinwand. Eher so wie der Mond im Wasser. Er ist ständig in Bewegung, wirklich ist er nur in diesem einen Augenblick. Deshalb verlierst du ihn so leicht aus den Augen. Doch dieser eine Augenblick ist einmalig, so unwiederholbar wie das ganze Leben. Wenn du ihn aus den Augen verlierst, verlierst du damit dein Leben - und was wird dann aus dem, was der Sawaki hier gerade zu sagen hat? Du machst es alles zu nichte!

Du übst Zazen schon seit fünf oder zehn Jahren? Was ist da schon dabei! Du musst jeden Tag ganz von Neuem nach deinem Weg suchen.

Wenn du den Buddhaweg zu deiner eigenen Frage machst, wirst du erkennen, dass er sich jeden Tag ändert. Wie soll ich den ewigen Weg in diesem Augenblick, in diesem Fall, beschreiten? Wir müssen in jedem Augenblick neu aufwachen, jeden Augenblick von Neuem praktizieren.

Wer weiß schon, ob ich morgen noch leben werde? Wer erinnert sich noch an gestern? Was wirklich wichtig ist, ist was ich in diesem Moment tue. Meine Füße müssen hier so fest auf dem Boden stehen, dass durch sie mein ganzer Leib in der Erde verankert ist.

Den Buddhaweg zu gehen bedeutet, damit aufzuhören, den anderen alles nachzumachen. Den Buddhaweg kannst du niemandem nachmachen, du musst ihn selbst gehen, auf deine ganz eigene Weise. Auch Geistesruhe kannst du niemandem nachmachen - wie willst du das Satori der anderen imitieren? Es geht um dich selbst, an diesem Ort, in diesem einen Augenblick: Was bringt es dir da, dich auf das Satori deines Meisters zu berufen? Es ist dein Leben, da geht nichts auf die Rechnung Buddhas. Den Buddhaweg zu praktizieren bedeutet, dein eigenes Leben zu schöpfen, es bedeutet, deinen eigenen Weg zu finden, um dieses Leben zu leben.

Was heutzutage Religion genannt wird, sind bloß schöne Worte, die zu nichts taugen - leeres Gerede, das auswendig dahergeleiert wird, ohne irgendetwas mit unserem Leben zu tun zu haben.

Die Lehre zu hören bedeutet, eine leere Pumpe am Anfang mit etwas Wasser zu füllen. Ein Normalbürger ist wie eine leere Pumpe: Mit Luft gefüllt taugt sie nicht dazu, Wasser aus dem Brunnen zu pumpen. Wird dagegen Wasser von oben in diese Pumpe gegossen, dann fängt sie an, das Wasser aus der Tiefe hoch zu pumpen. Auf diese Weise kommt das anfangs eingefüllte Wasser wieder aus der Pumpe heraus. Und das Wasser, das danach aus der Pumpe fließt, stammt weder vom Meister noch vom Buddha, sondern aus der Tiefe des eigenen Brunnens.

Den Buddhaweg zu gehen bedeutet, deine ganz eigene Natur zu entfalten.

Es wäre albern, wenn sich der Sawaki die Maske von Shakyamuni Buddha aufsetzte. Sawaki steht ganz für sich selber ein - er lässt sich selbst von Shakyamuni oder Maitreya nicht vertreten. Denn was dieser Sawaki kann, können weder Avalokitesvara oder Shakyamuni an seiner Stelle. Wenn du erkennst, dass auch du über etwas verfügst, das keiner für dich ersetzen kann, wirst du fortan dein Leben leben, ohne den anderen zur Last zu fallen. Du hattest es schon seit ewiger Vergangenheit. Es ist das, was am allerwichtigsten an dir ist.

Der Wert eines Menschen richtet sich nicht nach seinem Monatsgehalt. Was ist dann aber der wahre Wert eines Menschen? Wenn du nach ihm suchst, musst du erst einmal dich selbst finden. Wenn sich einer auf diese Suche begibt, dann hat er damit bereits das größtmögliche Glück für einen Menschen gefunden. Mit sich selbst vertraut werden - was könnte größer sein als das?

Als Schüler Bodhidharmas lernen wir nicht von einem anderen. Wir üben nicht so wie Kinder, die ihre Klavierstunden nehmen. Unser Ausgangspunkt ist dieser Rumpf mit Kopf, Armen und Beinen. Wir müssen uns ständig fragen, ob unsere Praxis nicht etwas Abgehobenes oder auswendig Gelerntes ist. Unser Glück muss darin bestehen, festen Halt in uns selbst zu finden - das bedeutet es, Buddha zu sein.

Was ist das Ziel unserer Praxis? Uns auf der Grundlage der Lehre von Buddhas und Patriarchen täglich neu zu erfinden - in diesem Leben, in dem jeder einzelne Tag der allererste ist. In diesem grenzenlosen Leben geht es darum, wie wir uns selbst erfinden - vollkommen neu, ohne irgend jemanden nachzuahmen oder uns auf auswendig Gelerntes zu berufen. Schöpfe dich selbst, erfinde dein eigenes Leben neu!

Sawaki Kodo

An dich, der du geradeheraus nach deinem wahren Selbst fragst

.  Du kannst dich nicht selbst greifen und festhalten. Umgekehrt verwirklichst du dich genau in dem Augenblick, in dem du dich ganz verloren gibst, in eins mit dem Universum.
   
    Gerade das "Ich", das ich mir nicht selbst ausgedacht habe, bin ich wirklich.
   
    Das, was jenseits deiner Privatangelegenheiten liegt, wird mit Worten wie "Alle Dinge sind Gestalt der Wahrheit" oder "Alles Sein ist Buddhanatur" bezeichnet.
   
   Das ganze Universum strahlt im Licht des Selbstes. Du bist das ganze Universum. Hier bist du nicht das alberne Geschöpf, das mit dem Kleingeld im Portemonnaie klimpert.
   
   Dieser Körper ist das ganze Universum. Wenn du nicht dieses Selbstvertrauen hast, wirst du irgendwo hängen bleiben. Wenn du eifersüchtig bist und von einer Laune in die andere fällst, bedeutet das, dass du hängen bleibst.
   
   Glaube besteht aus der Überzeugung, dass du das ganze Universum bist, egal ob es dir überzeugend vorkommt oder nicht. Dieser Glaube ist die einzige Form von religiöser Praxis, die niemals abflaut.
   
   Buddhaweg bedeutet, an die eigene Buddhanatur zu glauben.
   
   Jeder von uns, ob du es weißt oder nicht, hat Buddhanatur. Das heißt, du bist Teil von allen Dingen als der Gestalt der Wahrheit.
   
    Die Gestalt der Wahrheit liegt offen vor uns. Verschwendete Mühe, daran zu zweifeln.
   
    Sich in das vollkommen unverbogene und unbeirrbare Selbst zu vertiefen, bedeutet den Buddhaweg zu gehen.
   
    Vergiss einfach alles, was du seit deiner Geburt aufgeschnappt hast.
   
    Was das "Abfallen von Körper und Geist" genannt wird, bedeutet nicht mehr als einfach aufzuhören, zu beharren: "Ich bin, ich bin!"
   
    Im Gakudôyôjinshû steht: "Bodhi-Geist bedeutet das Erkennen der Vergänglichkeit." Im Vairocana-Sutra heißt es wiederum: "Bodhi bedeutet, den eigenen Geist direkt zu erkennen." Das heißt, dass die Vergänglichkeit zu erkennen in erster Linie bedeutet, sich wirklich selbst zu erkennen.
   
    "Nicht-Ich" ist keine geistige Umnachtung. Es bedeutet Eins-Sein mit dem Universum.
   
    Nicht-Ich, umgekehrt ausgedrückt, bedeutet "Alle Dinge sind Gestalt der Wahrheit".
   
    Nicht-Ich - oder Ungeist - bedeutet nicht, sich untätig in Bewusstlosigkeit abdriften zu lassen. Ungeist bedeutet auch nicht der Notwendigkeit zu Trotzen. Es bedeutet umgekehrt, der kosmischen Ordnung zu folgen. Das heißt, in das Universum eingebunden zu leben.
   
    Ist Leben innerhalb der Zeit? Nein, umgekehrt: Die Zeit ist innerhalb des Lebens. Deshalb gibt es auch kein Leben außerhalb deiner religiösen Praxis.
   
    Du bist du selbst und gleichzeitig das ganze Universum. Du bist das ganze Universum und gleichzeitig du selbst. Das ist genau das, was dieser Satz aus dem Lotus-Sutra ausdrückt: "Es gibt nur den Dharma des einen Gefährts, nicht zwei, nicht drei."
   
    Wenn ein Wassertropfen sich im Meer auflöst und wenn ein Staubkörnchen im Erdboden versinkt, dann ist der Wassertropfen bereits das Meer und das Staubkorn ist die Erde.
   
    Wenn die Flut der religiösen Idee ihr Maximum erreicht, kommt sie an den Punkt, der im Buddhismus "das Selbst, das das ganze Universum füllt" genannt wird.
   
    Alle Dinge sind Inhalt deiner selbst. Deshalb muss dein Handeln auch die Wünsche der anderen berücksichtigen.
   
    Dem Buddhaweg darf auch das Gesellschaftsbewusstsein nicht fehlen. Wenn sich die Buddhalehre einerseits und die Menschen mit ihren Wünschen und Gefühlen andererseits gegenseitig scharf ins Auge sehen, dann entstehen da "die zwei Wahrheiten von absoluter Wirklichkeit und vergänglicher Welt". Für Buddha stellen die verirrten Lebewesen seine Stammkundschaft dar, deshalb muss die Buddhalehre hier mit Feingefühl operieren.
   
    Wenn wir bei allen Dingen, von denen wir Gebrauch machen, an die denken, die nach uns kommen, bedeutet das, dass wir uns der Gesellschaft erkenntlich zeigen.
   
    Wo Geist ist, gibt es stets etwas auszusetzen. Wo kein Geist ist, gibt es auch keinen Geist der Güte. Es darf weder Geist geben, noch keinen Geist geben: Das ist schwer. Hier liegt die Bedeutung des Denkens auf dem Grund des Nicht-Denkens, und Undenken ist die eine große Sache, in die sowohl "Geist" als auch "Nicht-Geist" zusammen hinein passen.
   
    Undenken ist nicht das, was wir uns im Kopf ausrechnen.
   
    Wenn im Buddhismus vom "Zustand vor Raum und Zeit" die Rede ist, bedeutet das den Raum und die Zeit, in dem die Dinge noch keine Namen haben. Wie könnte es da eine abschließende Antwort geben?
   
    Von einem wirklichen Buddha können wir nicht Maß nehmen.
   
    Buddha hat keine feste Form. Deshalb kannst du ihn nicht messen.
   
    Wenn du "Amithaba" sagst, klingt das so, als wäre "Amithaba" dein Haustier. Das ist verkehrt. "Amithaba" bedeutet "maßloses Licht und Leben" - in anderen Worten: Grenzenlosigkeit. Wenn du fragst, was Buddhismus ist, lautet die Antwort: "Den Buddhaweg ergründen heißt, sich selbst zu ergründen" (Shôbôgenzô Genjôkôan) und "den eigenen Geist wirklich erkennen" (Vairocana-Sutra). Die Antwort auf die Frage, weshalb wir zu religiöser Praxis aufbrechen, ist deshalb, dass wir uns damit zu einer Reise auf der Suche nach uns selbst aufmachen. Wenn du allerdings nicht aufpasst, kann es dir vorkommen, dass du dein ganzes Leben lang bloß herumirrst wie ein Gespenst, ohne zu wissen, weshalb oder wonach du überhaupt auf der Suche bist.
   
    Du schreitest fort in deiner Übung auf der Suche nach der einen Sache ohne eigene Natur, ohne Gewinn, während du dir Blasen läufst in deinen Strohsandalen. Aber diese Übung darf nicht auf irgendetwas außerhalb deiner selbst gerichtet sein. Sie muss das Umkehren des Lichtscheins und das Leuchten in dein Inneres sein. Im Bendôwa redet Dôgen Zenji vom "Dharma-Tor von Frieden und Glück", doch dieser Frieden und dieses Glück sind nicht Friede und Glück im weltlichen Sinn. Mit Friede und Glück im weltlichen Sinn Schluss zu machen bedeutet, wahren Frieden und wahres Glück zu finden.
   
    Die Buddhalehre liegt nicht fern von uns, doch wir dürfen nicht darauf warten, sie geschenkt zu bekommen. Sie bedeutet, klar über sich selbst zu werden. 
   

Sawaki Kodo

An dich, der du plötzlich anfängst, über das Leben nachzugrübeln


    Was für eine Schande, als Mensch geboren worden zu sein und sich sein Lebtag nur Sorgen zu machen. Du musst an den Punkt kommen, an dem du dich darüber freust, als Mensch geboren worden zu sein.
   
    Geburt, Alter, Krankheit und Tod - um diese endgültigen Tatsachen können wir uns nicht herumdrücken.
   
    Realität: Unser Ziel muss sein, sie wirklich in den Griff zu bekommen. Wir dürfen nicht bei Begriffen davon stehen bleiben.
   
    Seltsam, dass kein Mensch in der Welt ernsthaft über sein eigenes Leben nachdenkt. Seit ewigen Vergangenheiten tragen wir etwas in uns herum, das noch unausgekocht ist. Doch wir beruhigen uns damit, dass es den anderen genauso geht: Das nenne ich den "Gruppenwahn". Wir glauben, wir müssten nur so sein, wie die anderen auch sind. Satori bedeutet, sein Leben selbst zu gestalten. Es bedeutet, aus dem Gruppenwahn aufzuwachen.
   
    In einem Teil der Mandschurei wurden die Wagen von großen Hunden gezogen. Dabei ließ der Kutscher ein Stück Fleisch von einer Angelschnur vor der Nase des Hundes baumeln. Der Hund rennt und rennt in dem Versuch, sich das Fleisch zu schnappen, doch er kommt nicht dran. Erst wenn der Wagen am Ziel angelangt ist, bekommt der Hund das Fleisch vorgeworfen: Mit einem Biss schlingt er es herunter. Genauso geht es dem Menschen mit der Lohntüte: Bis zum 27. oder 28. rennt er der Lohntüte nach, die man ihm vor die Nase hält. Wird ihm sein Lohn ausgezahlt, verschluckt er ihn mit einem Bissen. Und rennt schon dem nächsten Zahltag nach...
   
    Keiner blickt über seinen Tellerrand. Alles glaubt, dass das Leben irgendwie einen Sinn hat, dabei ist es doch nur genauso wie bei den Schwalben: Die Männchen sammeln Futter, die Weibchen brüten auf den Eiern.
   
    Die meisten Menschen folgen keiner exakten Lebenseinstellung. Sie behelfen sich nur mit provisorischen Anschauungen, so wie sie eine Salbe auf die verkrampfte Schulter schmieren.
   
    Die Frage ist: Worüber grübeln wir eigentlich so angestrengt nach?
   
    Wenn du nicht aufpasst, verbringst du noch dein ganzes Leben mit nichts anderem, als darauf zu warten, dass deine Normalbürger-Hoffnungen irgendwann einmal erfüllt werden!
   
    In der Welt heißt es immer: Ich will dies tun, ich will das tun... Doch wenn du es dann wirklich in die Tat umsetzt, ist überhaupt nichts dabei.
   
    Die Lebensberatungsecke in der Zeitung: Sieh dich vor, sonst wirst du da auch noch einmal mit deinen Problemchen landen.
   
    Wie du es auch wendest, in der Welt dreht sich alles ums Ficken und Fressen.
   
    Die Küken haben einen Regenwurm gefunden: Jetzt reißen sie sich darum. Das ist genau das Bild, das auch die Menschengesellschaft abgibt.
   
    So wie Schneelawinen, die zu Tal stürzen, verstricken sich die leidenden Wesen in den sechs Welten von Tag zu Tag tiefer in ihre Illusion. Zazen bedeutet, damit Schluss zu machen.
   
   
(Anmerkung: Im Buddhismus gibt es die Lehre von den sechs Welten von Höllenbewohnern, hungrigen Geistern, Tieren, kämpfenden Dämonen, Menschen und Himmelswesen, die entweder als eine Beschreibung unserer alltäglichen Psychologie verstanden werden kann, oder aber als ein Theorie, bei der es um verschiedene Existenzweisen im Kreislauf von Geburt und Tod geht.)
   

    Die Menschen in der Welt verstehen etwas erst, wenn sie wissen, wofür es gut ist. Und wohin hat uns das geführt? Überhaupt nirgends!
   
    Der Streit zwischen Kater und Gaul, was denn das Glück ausmache, soll nie zu einem Ende gekommen sein. Vertrau nicht aufs Horoskop: Wie wir unser Leben zu leben haben, steht nicht fest!
   
    Es heißt, dass manchen ihr eigenes Geld zum Fallstrick wird. Wie gehen die nur mit ihrem Geld um?
   
    Die Befriedigung, nach der alles in der Welt sucht, wird doch wieder von Unzufriedenheit abgelöst. Das Glück, von dem die Welt spricht, wird dem Unglück weichen.
   
    Illusion bedeutet, keine Orientierung im Leben zu haben. Die Orientierungslosen sammeln sich in Gruppen versammeln, und schon prügeln sich die Rowdys wieder. Und da ist es auch kein Wunder, dass grundlose Kriege vom Zaun gebrochen werden.
   
    Der Mensch macht ein kluges Gesicht - während er im Dunklen herumtastet.
   
    Wenn du dich an diese seltsame vergängliche Welt gewöhnst, findest du sie auf einmal ganz normal. Und obwohl es sich eigentlich von selbst versteht, dass das Überleben in dieser vergänglichen Welt anstrengender ist als Zazen, kommt es dir jetzt umgekehrt so vor, als ob Zazen härter als das Leben selbst sei.
   
    Wir haben uns an das Leben gewöhnt: Nur deshalb nennen wir es "normal".
   
    Dein Körper gleicht einem Geschwulst.
   
    Auch Bettler lachen. Auch Millionäre weinen. Warum also die ganze Aufregung?
   
    Alle Dinge sind für etwas gut: Das macht sie zu illusionärem Schaum. Selbst was uns furchtbar wichtig vorkommt, ist nur eine Fabrikation. Nur das ist keine Halluzination, was gut für nichts ist: Das, bei dem es nichts zu gewinnen gibt.
    Alle Dinge sind relativ. Selbst die allerwichtigste Sache ist nur relativ. Das, was über all das hinausgeht, ist das Absolute.
   
    Als Menschen in diese Welt hineingeboren worden zu sein, ist keine kleine Sache. Wie schade wäre es da, wenn du eine Neurose entwickelst und in die Anstalt kommst. Oder dich darüber beklagst, kein Geld zu haben. Oder ganz aus dem Häuschen bist, weil du dich frisch verliebt hast, und dann wieder ganz zerknirscht, wenn sie mit dir Schluss gemacht hat. Und so weiter, und so fort... Da du nun einmal als Mensch das Licht der Welt erblickt hast, solltest du als Mensch auch ein wirklich lebenswertes Leben führen.
   
    Buddhismus lehrt uns, dass es ein Glück ist, als Mensch in diese Welt geboren worden zu sein.
   
    Samadhi bedeutet die Frage "wie leben?" stets in sich zu tragen.
   
    Alles glaubt, dass Zufriedenheit nicht mehr bedeute, als auf dem Sofa zu liegen oder im Thermalbad zu dösen. Nein: Zufriedenheit bedeutet, durchdrungen zu sein von Freude, Gelassenheit und Glück. Erst wenn du ganz im gegenwärtigen Augenblick anlangst, wirst du wirkliche Gelassenheit, Freude und Glück erfahren.
   
    Normalbürger werden von ihren Trieben in den sechs Welten herumgewirbelt. Für sie gibt es nur Liebe oder Hass, Profit oder Verlust, Gutes oder Schlechtes, Sieg oder Niederlage. Doch schließlich müssen wir doch erkennen, dass das alles nichts "bringt", und so kommen wir am Ende zur Praxis des Zazen: Einfach das praktizieren, was überhaupt nichts bringt.
   
    Man nennt uns "Normalbürger", weil wir im Dunklen herumtappen, von etwas Verworrenem hinters Licht geführt. Was ist dieses Verworrene? Letztlich hat es keine Substanz. Deshalb bedeutet vom Verworrenen hinters Licht geführt zu werden so etwas, wie mit den Wolken Seilziehen zu spielen: Sieg und Niederlage sind nichts Endgültiges, trotzdem weinen wir vor Freude, wenn wir gewinnen, und vor Schmerz, wenn wir verlieren - wie dumm! Die Substanzlosigkeit, die jenseits von Sieg und Niederlage liegt, ist die wahre Gestalt aller Phänomene. Buddha (hotoke) ist einer, der das Verworrene entzwirnt (hodoku).
   
    Ein Mensch, der die Dinge versteht, ist einer, der sich nicht von Fabrikationen und vom Karma in die Irre führen läßt. Menschen, die die Dinge nicht verstehen, sind ständig auf der Suche nach Zerstreuung: Mal verlieben sie sich, mal besaufen sie sich, mal widmen sie sich ihrer Lektüre, mal treiben sie ihren Sport. Doch alles nur halbherzig, um sich irgendwie selbst an der Nase herumzuführen. Wenn wir unser tägliches Leben damit verbringen, uns auf so halbherzige Weise selbst etwas vorzuspielen, dann leben wir ein Leben, das abgehoben von der Realität ist. Das bedeutet, dass wir uns schwankenden Schrittes auf Irrwege begeben. Alle Nationen der Welt wissen weder ein noch aus vor Langeweile, deshalb heißt es dann: "Augen links! Augen rechts! Im Gleichschritt marsch!" Und wieder sind die Kinder am Streiten um ihr Spielzeug.
    Das ganze Leben über schnauft der Mensch erschöpft, dabei weiß er noch nicht einmal, wofür er sich so verausgabt: Es kommt ihm nur so vor, als ob er ein Ziel hätte. Doch da ist in Wirklichkeit gar nichts: Nur das Grab wartet auf uns!
    Gelassen sein können wir nur, wenn wir die Dinge verstehen. Wenn wir die Dinge verstehen, sehen wir das Universum mit einem Blick, und die Naht zwischen uns und dem Universum verschwindet.
   
    Wir wurden geboren, ohne zu denken.
   
    Wir sind einfach nur geboren worden, und wir werden einfach nur sterben. Doch du fragst nach dem Sinn des Lebens. Du fragst, was dir Zazen bringt. Dabei hättest du kein Recht, dich zu beschweren, wenn du letztes Jahr gestorben wärst. Ist es nicht von vornherein klar, dass das Leben nichts bringt? Es ist nur ein Kommen und Gehen, und das ist alles. Dein Problem ist, dass du etwas in deiner Brust herumträgst, das das nicht akzeptieren will.
   
    So wie die Insekten, die in ihrem Glaskasten vom Insektologen beobachtet werden, wie sie ihr Futter oder sich gegenseitig fressen, sich paaren oder vor sich hinzirpen, so werden auch wir bei allem was wir tun von der Realität selbst ins Auge genommen. 
   

 

Sawaki Kodo

8. Ich werde mit meinem Universum geboren, und ich werde mit meinem Universum sterben

Wenn von "Sawaki" die Rede ist, weiß ich, dass es um mich geht, auch wenn keiner "Kodo" hinzufügt. Wenn der Sawaki das ganze Universum ausfüllt, gibt es keinen "Sawaki" mehr außer dem Universum, und auch kein "Universum" außer diesem Sawaki.

Wir glauben, dass wir ganz aus eigener Kraft leben, aber in Wirklichkeit ist es die große Natur, die uns am Leben hält. Dein Leben gehört nicht dir allein - es ist universell. Dieses universelle Leben ist dein Selbst, es ist der wahre Menschenleib, der den gesamten Kosmos ausfüllt. Zazen bedeutet, das universelle Leben, das heißt dein Selbst, zu leben. Das bedeutet wiederum, das Universum selbst zu manifestieren und zu bezeugen. Wenn ich alleine Zazen praktiziere, dann praktiziert das ganze Universum mit mir - eingeschlossen in Zazen.

Dein eigenes Leben selbst zu leben bedeutet, das ganze Universum auszufüllen. Du allein füllst das ganze Universum aus. Hier liegt die tiefe Bedeutung des Zazen.

Wer realisiert die universelle Wahrheit? Wer, wenn nicht du selbst? Religion muss aus deinem eigenen Leben bestehen.

Was könnte es Armseligeres geben als einen, der sich ständig über die eigene Armseligkeit beklagt? Zwischen dir und Shakyamuni Buddha gibt es nicht die geringste Distanz!

Wenn du klar erkennst, dass dein Leben nahtlos verbunden ist mit dem Universum und kein Haarbreit zwischen dich und Buddha passt, dann wird es dir nichts ausmachen, ob du auf der Bühne die Vorder- oder Hinterbeine im Kamel-Kostüm spielst: Du wirst in jeder einzelnen deiner Handlungen deine ganze Lebenskraft entfalten.

Was interessant an dieser Welt ist, ist die Tatsache, dass sie eine ganz andere Gestalt annimmt, je nach dem, was du für eine Einstellung der Welt gegenüber annimmst. Der Buddhaweg ist deine eigene, persönliche Wahrheit. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Weg mit deiner eigenen, persönlichen Befreiung endet - das nennt man Hinayana. Im Mahayana bist du nicht nur mit Buddha nahtlos verbunden, sondern auch mit den leidenden Wesen, die in der Hölle schmoren.

Zazen ist deine eigene, persönliche Wahrheit, mit der du sowohl die ewige Vergangenheit als auch die ewige Zukunft erlöst. Es ist eine objektive Tatsache, die du tief in deinem subjektiven Inneren findest: Wenn es dir schlecht geht, geht es auch der Sonne und dem Mond schlecht. Wenn es dir dagegen gut geht, lachen dich selbst die Radieschen auf dem Teller noch an. Wenn du wütend wirst, regt sich selbst der Teppich noch mit dir auf. Hier liegt die Wurzel deiner Welt.

Was du siehst liegt nicht außerhalb deiner selbst. Deshalb kann man auch sagen, dass alle Phänomene bloß dein eigener Schatten sind.

Was ein anderer gesehen hat, ist nicht deine eigene Erfahrung. Du musst deine eigene Wahrheit entdecken. Satori liegt nicht irgendwo außerhalb: Es geht um dich selbst. Es geht darum, deine Lebensweise um 180 Grad umzuwenden - deine Sichtweise der Dinge, deine Art, zu hören und riechen, zu lecken und zu schmecken. Du musst umkehren zum Leben - in Büchern wirst du die Antwort nie finden.

Der Fensterrahmen unseres Egos ist so beschränkt, dass wir die Welt nur ganz verzerrt sehen. Wir betrachten die Dinge wie durch eine gefärbte Brille. Und das, was wir da sehen, existiert so oft gar nicht - es ist nur das Brett vor unserem Kopf, auf das wir starren!
Wir müssen diese gefärbte Brille abnehmen, um die Dinge so zu sehen, wie sie sind - ungeschminkt und transparent. Dann werden wir auch erkennen, das Berge und Flüsse, Bäume und Gräser nicht getrennt von uns existieren.

Diese Welt ist deine Welt, ist meine Welt. Das ist so, als ob sich Milliarden von Lichtern, für jeden Menschen eines, gegenseitig beleuchteten. Und wenn ich sterbe, dann stirbt auch mein Berg Fuji mit mir, mein Himmel und meine Erde sterben mit mir, und diese Tasse Tee stirbt mit mir.

Ich bin meine eigene Welt. Wenn ich sterbe, dann stirbt die Welt mit mir. Denn als ich geboren wurde, wurde diese Welt mit mir geboren. Du sagst: "Selbst wenn du stirbst, bleibt diese Welt doch bestehen!" Nein, mein Teil der Welt stirbt mit mir. Denn jeder einzelne von uns ist vollkommen, da fehlt es an nichts. Den Buddhaweg zu gehen bedeutet, sich dieser Tatsache ganz bewusst zu werden.

Du kommst mit deinem Universum zur Welt. Und wenn du stirbst, dann stirbt das Universum mit dir.

 

 

 

METTA SUTTA

Das Sutra von der großen Güte

Willst Du Gutes für Dich selbst und diese Welt erzeugen,
so entwickle Frieden in Deinem Herzen
und übe folgende Verhaltensweise:
Sei frei von Furcht, mutig, aufrecht und ehrlich,
ohne Stolz genügsam und fleißig.
Belaste Dich nicht mit übermäßigem Reichtum.
Sei achtsam im Umgang mit Deinen Sinnen.
Sei weise, aber nicht eingebildet Sei nicht gierig nach Besitz und Macht.
Halte Dich von Feindschaft frei.
Tue nichts, was anderen schaden könnte,
denn alles was Du tust, fällt letztendlich wieder auf Dich selbst zurück.
Stehend oder gehend, sitzend oder liegend, denke einfach so:

Mögen alle Wesen glücklich sein.

Mögen sie froh sein und in Sicherheit leben,

alle Lebewesen, ob schwach, ob stark,

in den oberen, mittleren oder unteren Welten,

klein oder groß, sichtbar oder unsichtbar,

nah oder fern, geboren oder nicht geboren.

Mögen alle Wesen glücklich sein.

Betrüge niemanden und verachte kein Wesen,
was immer seine Umstände auch sein mögen.
Laß Dich nicht durch Wut und Haß dazu verleiten,
anderen Schlechtes zu wünschen.
So wie eine Mutter, selbst unter Einsatz ihres Lebens,
ihr einziges Kind behütet und beschützt,
so sollte man mit allen Lebewesen
wohlwollend und liebevoll umgehen.
Auf diese Weise wird man auch der Natur
und allem Dasein mit Achtsamkeit,
Respekt und Dankbarkeit begegnen.
Dies ist die beste Art, in dieser Welt zu leben.

HERZ SUTTA

O Sariputra -
Die Form ist leer. Die Leere wird zur Form.
(Die Leere ist die Form. Und die Form ist Leere.)
(Kein Entstehen. Und kein Vergehen.)
(Kein Makel. Und keine Freiheit von Makel.)
(Keine Abnahme. Und keine Zunahme.)
Kein Auge. Kein Ohr. keine Nase. Keine Zunge. Kein Körper. Kein Geist.
Keine Farbe. Kein Klang. Kein Geruch. Kein Geschmack. Kein Tastsinn.
(Nichts Sichtbares. Kein Geist. Und kein Bewußtsein.)
Kein Ding, das existiert.
(Keine Unwissenheit. Und keine Ende von Unwissenheit.)
Kein Alter. Und kein Tod.
Keine Ende des Alters. Kein Ende des Todes.
Kein Leid. Keine Ursache für Leid. Oder das Ende des Leidens.
Kein Weg. Keine Weisheit. Und kein Nutzen.
(Kein Nutzen.)
Bodhisattvas (ohne Erlangen) in vollkommenem Einklang.
Ohne die Schranken des Geistes.
(Ohne Schranken.)
Und daher ohne alle Furcht.
Jenseits von allen irreführenden Gedanken.
Das ist Nirvana.

( Tadyatha om gate gate paragate parasamgate bodhi svaha )

 

 

Der König der Hirsche

Die JATAKAS, wörtlich übersetzt „Geburtsgeschichten“, sind ein Teil des Sutra-Pitaka, gehören also zum buddhistischen Kanon, dem Tripitaka. Die Jataka - Geschichten erzählen von den Vorleben des Buddha und zeigen, wie das Verhalten in früheren Existenzen die Umstände der gegenwärtigen Existenz beeinflusst. Viele von ihnen stammen aus der indischen Volkserzählung und wurden von den Buddhisten adoptiert und adaptiert. In vielen Geschichten wird der zukünftige Buddha als ein Tier geboren. Darwin lässt grüssen.

In einem seiner Vorleben wurde der Buddha als Hirsch geboren. Im Laufe der Jahre wuchs er zum Leittier der Herde heran. Er war ein weiser Anführer und brachte sein Volk an einen Platz tief im Innern des grossen Waldes, wo sie in Frieden lebten.

Dann kam ein neuer König an die Macht. Dieser liebte die Jagd über alles. Schon beim Morgengrauen bestieg er sein Pferd und führte seine Männer auf eine wilde Jagd über Wiesen und Felder, durch Wald und Flur. Wild um sich schiessend gab er nicht auf, bis die Sonne unterging. Dann ritt er in seinen Palast zurück, gefolgt von Karren gefüllt mit toten Hirschen, Bären, Hasen, Pfauen, Affen, Leoparden, Wildschweinen, Tigern und Löwen. Und der König war glücklich.

Aber sein Volk war nicht zufrieden. Felder wurden durch die königliche Jagd zerstört. Bauern und Handwerker versäumten ihre Arbeit, weil sie als Treiber Frondienste leisten und die verängstigten Tiere zum wartenden König und seine Männer treiben mussten. Auch die Saatsgeschäfte wurden vernachlässigt.

Die Leute beschlossen diese Situation zu ändern und schmiedeten einen Plan. Sie errichteten im Wald ein Gehege. „Wir werden eine oder zwei Herden Hirsche hinein treiben,“ sagten sie. „ Darin kann der König dann nach Herzenslust jagen. Es werden keine Felder zerstört und wir müssen unsere Arbeit nicht mehr verlassen. Dann soll er ruhig glücklich sein.“

Das Gehege wurde errichtet und zwei Herden hineingetrieben. Die Eingänge wurden verschlossen und die aufgescheuchten Tiere galoppierten hektisch umher. Sie suchten verzweifelt nach einem Ausweg, aber es gab keinen. Endlich blieben sie erschöpft stehen und erwarteten zitternd ihr Schicksal.

Die Männer waren zufrieden und berichteten dem König von ihrem Erfolg.

Eine der beiden Herden wurde vom zukünftigen Buddha angeführt. Das Sonnenlicht spielte in seinem mächtigen Geweih. Seine schwarzen Augen glänzten und seine Schnauze war feucht. „ Über uns ist der blaue Himmel, unter uns wächst das grüne Grass,“ sagte er zu den Seinen. „Gebt nicht auf. Wo Leben ist, da ist auch Hoffnung. Wir werden einen Weg finden.“ So versuchte er, sie zu beruhigen.

Bald darauf kam der König, um die eingefangenen Herden zu begutachten. Er war zufrieden und spannte seinen Bogen. Als er die beiden Leittiere bemerkte sprach er: „ Die Anführer beider Herden sind wunderbare Tiere. Niemand soll auf sie schiessen. Ich schenke ihnen ihr Leben.“ Dann sandte er seine Pfeile von seinem erhöhten Platz aus in die wieder in panischer Angst wild herum galoppierende Herde. In ihrem Bemühen, dem tödlichen Pfeilregen zu entgehen, verletzten sie einander mit Hörner und Hufe.

So ging es eine Weile. Alle paar Tage kam der König mit seinem Gefolge zum Gehege. Und alle paar Tage wurden mehr der friedliebenden Hirsche getötet. Viele wurden von den fliegenden Pfeilen angeschossen, andere verwundeten sich auf der Flucht.

Der König der Hirsche traf sich mit dem Führer der anderen Herde. „Bruder,“ sprach er, sein gehörntes Haupt traurig schüttelnd, „wir sitzen in der Falle. Ich habe alles versucht, aber es ist umsonst. Das Leiden unserer Völker ist unerträglich. Wie du weißt, werden viele im Bemühen, am Leben zu bleiben, verwundet. Deshalb schlage ich vor, dass zukünftig alle Tiere der beiden Herden einen Strohhalm ziehen müssen. Die- oder derjenige auf welche/n das Los fällt, muss sich vor den König stellen und sich erschiessen lassen. Es ist eine schreckliche Lösung, aber so können wir wenigstens viele vor unnötigen Verletzungen und Schmerzen bewahren.“ Der Führer der anderen Herde war einverstanden.

Am nächsten Tag, als der König mit seinem Gefolge ankam, fanden sie einen verängstigten Hirsch direkt unter ihnen stehen. Beine und Körper zitterten, aber sein Haupt war erhoben. „Was geht hier vor sich?“ fragte der König. „Aha, ich verstehe. Diese Hirsche sind wirklich gescheite Wesen. Sie haben beschlossen ein Tier zum Sterben auszuwählen, um so den anderen das Leiden unserer Jagd zu ersparen. Diese Hirschkönige besitzen Weisheit.“ Ein bedrückender Schatten legte sich auf sein Herz. „Wir werden auf ihren Vorschlag eingehen,“ verkündete er. „Von jetzt an werden wir nur das eine Tier, welches sich direkt vor uns aufstellt, erschiessen.“ Er entspannte seinen Bogen, stieg vom Gehege herunter und ritt schweigend in seinen Palast zurück. In dieser Nacht hatte der König einen unruhigen Schlaf und ein leuchtender Hirsch schritt durch seine Träume.

Eines Tages fiel das Los auf eine schwangere Hirschkuh der zweiten Herde. Sie ging zu ihrem Anführer und sprach: „Sobald mein Junges geboren ist, werde ich ohne zu zögern mein Los auf mich nehmen. Aber wenn ich jetzt gehe, so werde nicht nur ich, sondern auch mein noch ungeborenes Kind sterben. Bitte gewähre mir etwas Aufschub. Ich frage nicht für mich selber, sondern für das Junge, welches in Bälde zur Welt kommen soll.“

Aber der Anführer antwortete: „Das Gesetz ist das Gesetz. Ich kann Dich nicht verschonen. Das Los ist auf Dich gefallen und Du musst sterben. Es gibt keine Ausnahmen. Die Gerechtigkeit verlangt, dass Du gehst.“

In ihrer Verzweiflung rannte sie zum Helden unserer Geschichte, dem König der Hirsche. Sie kniete vor ihm nieder und erflehte seine Hilfe. Er horchte ihr ruhig zu, während er sie aufmerksam mit grossen, freundlichen Augen musterte. „Steh auf Schwester“, sagte er schliesslich „Du bist frei. Du hast recht, unsere Abmachung besagt, dass nur eins sterben muss. Deshalb sollst Du bis zur Geburt Deines Kindes vom Losziehen befreit sein. Ich werde es so anordnen.“

Selig jenseits von Worten verneigte sich die dankbare Hirschkuh und zog sich zurück.

Der König der Hirsche erhob sich. Es gab niemanden, sie zu ersetzen. Er hat ihr das Leben geschenkt, also muss auch er sie ersetzen. Mit grosser Würde schritt er ruhig durch seine äsende Herde. Sie beobachteten ihn. Sein grosses, geschwungenes Geweih und die starken Schultern, seine leuchtenden Augen und die scharfen, schwarzen Hufe, alles tröstete und ermunterte sie. Er war ein wirklicher König und die ganze Herde fühlte sich in seiner Gegenwart geborgen.

Als die Jäger sahen, wer dieses Mal zum Abschuss vortrat, riefen sie: „O König der Hirsche, Du weißt doch, dass unser König Dir Dein Leben geschenkt hat. Wieso bist Du also hier?“

„Ich bin gekommen, damit zwei andere nicht sterben müssen. Und jetzt schiesst. Ihr habt Eure Arbeit zu tun, ich die Meinige.“

Aber die Jäger senkten ihre Bögen und sandten einen Boten zum König: „Majestät mögen so schnell wie möglich kommen.“

Kurz darauf kam der König mit fliegenden Gewändern angeritten. „Was gibt`s? Weshalb habt ihr mich gerufen?“

„Komm Majestät,“ sagten seine Leute, „komm und schau!“

Der König sprang von seinem Pferd, rannte über die grobe Holztreppe aufs Gehege und schaute auf den Hirsch unter ihm. Der König der Menschen und der König der Hirsche blickten einander in die Augen.

„König der Hirsche“, sagte der König der Menschen nach einer Weile. „Ich kenne Dich. Ich hab Dich durch die Wälder meiner Träume wandeln gesehen. Weshalb bist Du hier? Habe ich Dich nicht von meiner Jagd befreit?“

„Welcher König könnte frei sein, wenn sein Volk leidet?“ antwortete der Hirsch. „Heute wandte sich eine trächtige Hirschkuh an mich. Das Los fiel auf sie und beide, Mutter und ungeborenes Kind, sollten sterben. Die Abmachung verlangt aber nur, dass ein Tier stirbt. Ich bin dieses eine, ich nehme ihren Platz ein. Das ist mein Recht und meine Pflicht als König.“

Ein Stein fiel vom Herzen des Menschenkönigs. „Nobler Hirsch,“ sagte er, „Du hast recht. Ein König sollte sich um die geringsten seiner Untertanen kümmern. Das ist eine Lektion, welche ich schon längst hätte lernen sollen. Heute ist es mir durch dein selbstloses Opfer gelungen. Ich werde Dich also königlich belohnen, Dir das Honorar eines Lehrers bezahlen: Du und Deine ganze Herde seid frei und sollt niemals mehr gejagt werden. Geh und leb in Frieden.“

Aber der König der Hirsche sagte: „Grosser König, das ist wirklich ein grosszügiges Geschenk und ich danke Dir. Aber ich kann noch nicht gehen. Erlaubst Du mir, weiter zu sprechen?“

„Fahre fort, edler Hirsch.“

„König der Menschen, wenn ich mit meiner eigenen Herde in die Freiheit ziehe, bedeutet das nicht, dass die andere Herde doppeltes Leid auf sich zu nehmen hat? Jeden Tag wird eines von ihnen erschossen. Sie werden keinen Ruhetag mehr haben. Obwohl ich mir nichts sehnlicher als das Wohl meines Volkes wünsche, kann ich es nicht mit dem Leiden anderer erkaufen. Kannst Du das verstehen?“

Der König der Menschen war sprachlos. „Was!?“ rief er aus, „Du würdest also Deine eigene Freiheit und die Freiheit Deines Volkes für andere auf`s Spiel setzen?“

„Ja,“ sagte der Hirsch, „das würde ich und das tue ich. Versetz Dich in ihre Lage, grosser König, denk an ihre Verzweiflung, stell Dir ihr Leiden vor, und dann lass auch sie frei.“

Der König schwieg und überlegte. Als er endlich sein Haupt erhob, lächelte er. „Noch nie bin ich einer so noblen Gesinnung oder solch entschlossenem Mitgefühl begegnet. Wie könnte ich mich Dir verschliessen? Dein Wunsch soll in Erfüllung gehen. Auch die andere Herde soll frei sein. Ist es Dir nun möglich, mit Deinem eigenen Volk in Frieden von Tannen zu ziehen?

Aber der Hirsch antwortete: „Nein, grosser König, das kann ich nicht. Ich denke an all die anderen vierfüssigen Geschöpfe. Wie sie habe ich mein Leben inmitten von Gefahren und Angst verbracht. Wie kann ich in Frieden leben, wenn ich an all ihr Leiden denken muss? Ich flehe Dich an, mächtiger König, erbarme Dich ihrer. Friede ohne ihre Freiheit ist nicht möglich.“

Der Mensch war wiederum zutiefst berührt. So etwas war ihm in seinen wildesten Träumen noch nicht eingefallen. Er dachte und dachte und langsam begann ihm die Wahrheit des Gesagten einzuleuchten. Er realisierte, dass es so war, wie der Hirsch sagte. Es gibt keinen wirklichen Frieden, wenn nicht alle daran teil haben können.

„Du hast recht, grosser Hirsch,“ sagte der König endlich. „In meinem ganzen Reich soll nie wieder ein vierfüssiges Tier getötet werden. Ich erlöse sie alle von meiner Jagd:

Hase, Wildschwein, Löwe, Leopard, Tiger, Hirsch, -alle. Nie wieder sollen sie den Pfeilen meiner Jäger zum Opfer fallen. So, mein Lehrer, hast Du nun Frieden gefunden?“

Aber der Hirsch antwortete wieder: „Nein, grosser König, das habe ich noch nicht. Was, mein Gebieter, ist mit den wehrlosen Geschöpfen der Luft? Die Vögel leben in ständiger Gefahr. Netze, Steine und Pfeile erwarten sie wo immer sie hinfliegen. Sie stürzen wie Regentropfen vom Himmel Deines Reiches. Ihre Qualen sind unvorstellbar. Mächtiger Gebieter, ich bitte Dich inbrünstig, befreie auch sie.“

„Edles Wesen,“ sagte der König, „Du bist ein harter Verhandlungspartner, und es scheint, dass du aus uns allen Bauern machen willst. Aber meinetwegen, sollen auch die Vögel frei sein. Mögen sie in meinem gesamten Reich ungehindert umher ziehen und ihre Nester bauen, ohne von Menschen gejagt zu werden. Bist Du nun zu frieden? Hast Du endlich Frieden gefunden?“

„Grosser König,“ antwortete der Hirsch, „gedenke auch der Schweigsamen Deines Reiches, der Fische. Wenn wir nicht jetzt über sie sprechen, wer soll es je tun? Während sie in den Seen, Flüssen und Bächen Deines Reiches schwimmen, warten Hacken, Netze und Harpunen auf sie. Wie soll ich in Frieden leben, während sie solchen Gefahren ausgesetzt sind? Grosser Herrscher, ich flehe Dich an, verschone auch sie.“

„Ehrwürdiger,“ sprach der König der Menschen, und Tränen rollten über seine Wangen, „der Du voller Mitgefühl bist, noch nie habe ich so etwas gehört oder gesehen. Aber jawohl, Du hast recht. Auch die Fische gehören zu meinem Reich, auch sie leiden, auch für sie trage ich Verantwortung. Von heute an sollen auch sie von uns Menschen verschont werden und sich ungehindert in ihrem Element tummeln können.“ Und der König sandte seine Boten in alle Himmelsrichtungen und liess seinen Entschluss verkünden: „Vom heutigen Tag an sollen alle Wesen in meinem Reich in Frieden leben können. Niemand soll sie fangen, jagen oder Töten.“

„Edles Wesen,“ sagte der König und wandte sich noch einmal zum Anführer der Hirsche, „hast Du jetzt Deinen Frieden gefunden?“

Ein Schwarm Vögel setzte sich zwitschernd ins Geäst eines Baumes, die Hirschherde äste ruhig auf der grünen Wiese.

„Ja,“ sagte der König der Hirsche, „jetzt habe ich meinen Frieden gefunden.“ Und er sprang vor Freude wie ein Jungtier in die Luft, alle vier Füsse von sich streckend. Dann bedankte er sich beim König der Menschen, versammelte seine Herde, und führte diese zurück in die Tiefen des Waldes.

Der König liess an der Stelle seiner Wandlung eine Steinsäule errichten. Auf ihr war ein mächtiger Hirsch eingemeisselt, eingerahmt durch die Worte: „Ehre dem noblen Anführer der Hirsche, mitfühlender Lehrer der Könige.“

Auch er lebte noch viele Jahre und kümmerte sich mit Weisheit und Mitgefühl um alle Dinge.

 

 

Verehrung der unbegrenzten Reinheit des Buddha Vairocana,
Der vollendeten Form des Buddha Amitabha,
Der manifestierten Form des Buddha Shakyamuni.
Verehrung Maitreya, dem Buddha der Zukunft.
Verehrung allen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Buddhas in den zehn Richtungen.
Verehrung dem Lotussutra des Gesetzes des Großen Fahrzeugs.
Verehrung dem Bodhisattva der Weisheit, Manjushri,
Dem großen und vollkommenen Bodhisattva Samantabhadra,
Dem Bodhisattva des großen Mitgefühls, Avalokiteshvara,
Allen unzähligen Bodhisattvas, allen Dharmavorfahren und
Dharmavorfahrinnen
Verehrung der Großen Weisheit, die es ermöglicht,
darüber hinaus zu gehen.

 

»Den Weg studieren bedeutet,
sich selbst studieren.
Sich selbst studieren bedeutet,
sich selbst vergessen.
Sich selbst vergessen bedeutet,
in Harmonie zu sein mit allem,
was uns umgibt.«

Meister Dogen (1200 - 1253), Shobogenzo Genjokoan

 

 

Die 4 großen Gelübde

Unzählig sind die lebenden Wesen.
Ich gelobe, sie alle zu befreien.
Unerschöpflich sind die leidschaffenden Täuschungen.
Ich gelobe, sie alle zu überwinden.
Unermesslich sind die Pforten des Dharma.
Ich gelobe, sie ganz zu durchdringen.
Unübertrefflich ist der Buddha-Weg.
Ich gelobe, ihn ganz zu verwirklichen

Die Vier Unermeßlichen Gedanken

Mögen alle Wesen Glück und die Ursachen für Glück haben.

Mögen sie vom Leiden und den Ursachen für Leiden frei sein.

Mögen sie nicht von wahrem Glück,welches ohne jegliches Leid ist, getrennt sein.

Mögen sie in großem Gleichmut verweilen, frei von Anhaftung an ihnen Nahes und Ablehnung von ihnen Fernem

Zuflucht und Bodhicitta

Bis zur Erleuchtung nehme ich Zuflucht zum Buddha,
zu seiner Lehre und zur höchsten Gemeinschaft.

Mögen mich zum Wohle aller Lebewesen
die Tugenden von Freigiebigkeit, Ethik, Geduld,
Fleiß, Meditation und Weisheit zur Buddhaschaft führen.

Widmung

Mögen aufgrund dieses Verdienstes
die Lebewesen die Allwissenheit erlangen
und alle schädlichen Feinde vernichten,
um dann vom Ozean des Samsara,
der von Geburt, Alter, Krankheit und Tod aufgewühlt ist,
frei zu werden.

In vollkommener Weise widme ich all diesen Verdienst,
damit ich nach dem Vorbild des Helden Manjushri,
der die absolute Wahrheit realisiert hat,
und nach dem Vorbild von Samantabhadra praktiziere.

Mögen durch diese Tugenden alle Lebewesen
Verdienst und Weisheit vollkommen ansammeln,
und mögen sie die beiden vortrefflichen Körper,
die aus Verdienst und Weisheit entstehen, erlangen.

Möge diese Bitte um die Weitergabe des Verdienstes
durch den Segen des Buddha,
der die drei Körper erlangt hat,
durch den Segen des Dharma,
der die unveränderliche Wahrheit ist,
und durch den Segen der Sangha,
der ungespaltenen Gemeinschaft in Erfüllung gehen.

 

Nicht findet man der Taten Täter,
Kein Wesen, das die Wirkung trifft,
Nur leere Dinge zieh'n vorüber:
Wer so erkennt, hat rechten Blick.
Wenn sich dem Heiligen der Dinge Bild
In der Versenkung, wie sie sind, enthüllt,
Dann schaut er, während alle Zweifel schwinden,
Wie Ursache und Wirkung sich verbinden.

Buddha

Die Bodhisattva-Gelübde im Chan / Zen

Die fühlenden Wesen sind zahllos,
Wir geloben, sie zu befreien.

Die Illusionen sind unerschöpflich,
Wir geloben, sie zu transzendieren.

Die Dharmas sind unermesslich,
Wir geloben, sie zu meistern.

Buddhas Weg des Erwachens ist überaus erhaben,
Wir geloben, ihn zu verwirklichen.

 


 

 

Sandokai
von Sekito Kisen (700-790)


Der Geist des großen Weisen aus Indien wurde direkt von Westen nach Osten übermittelt.

Menschen unterscheiden zwischen Dummen und Klugen, doch auf dem wahren Weg gibt es keine Patriarchen des Südens oder des Nordens.

Die Quelle der Lehre ist rein und ohne Makel. Bäche die sich verzweigen fließen in der Dunkelheit.

An einer Idee zu haften ist Täuschung. Die Wahrheit zu erkennen ist auch nicht immer Erleuchtung.

Die Sinne und ihre Objekte sind eng miteinander verbunden und gleichzeitig voneinander unabhängig. Doch trotz ihrer unendlichen Verbundenheit haben sie alle ihren eigenen Ort.

Dinge unterscheiden sich in Wesen und Form. Im Geschmack, Klang und Gefühl manifestieren sich gut und schlecht. Im Dunkeln sind hochwertig und minderwertig nicht zu unterscheiden. Im Hellen wird der Gegensatz von rein und unrein deutlich.

Die vier Elemente kehren zur ihrer Natur zurück, wie ein Kind zu seiner Mutter. Feuer erhitzt, Wind bewegt, Wasser nässt, Erde ist fest.

Für die Augen gibt es Farbe und Form. Für die Ohren gibt es Klang. Für die Nase gibt es Geruch. Für die Zunge gibt es Geschmack.

Jedes Phänomen entspringt der Wurzel, so wie Zweige und Blätter aus dem Stamm sprießen. Wurzel und Baumspitze kehren zu ihrer ursprünglichen Natur zurück.

Hohe und niedrige Worte sind unterschiedlich. In der Helligkeit da ist tiefste Dunkelheit, hafte nicht an der Dunkelheit. In der Dunkelheit da ist Helligkeit, aber suche nicht nach der Helligkeit. Dunkelheit und Helligkeit wechseln einander ab wie beim Gehen der vordere und hintere Fuß.

Jedes Phänomen hat seinen Wert. Ihr solltet darauf achten, wie die Wahrheit zum Ausdruck gelangt. Das Relative passt zum Absoluten wie ein Deckel zu seinem Behälter. Das Absolute und das Relative entsprechen einander wie zwei Pfeile, die sich im Flug begegnen.

Hörst Du die Worte, solltest Du die Quelle der Lehre verstehen. Entwickle keine eigenen Maßstäbe. Erkennst du den Weg nicht mit deinen Augen, wie sollten dann deine Füsse um ihn wissen? In der Übung fortschreiten ist weder fern noch nah. Im Zustand der Täuschung bist du Berge und Flüsse davon entfernt.

Ich fordere alle Sucher der Wahrheit ehrerbietig auf: Vergeudet eure Tage und Nächte nicht.

 

 


BODHIDHARMA
 



Bodhidharma wurde als dritter Sohn des indischen Königs Sughanda um 470 n. Chr. geboren. Er war Krieger und buddhistischer Mönch und wurde der 28. Patriarch des Buddhismus. Weiterhin war er der legendäre Begründer des Zen-Buddhismus und somit erster Patriarch des Chan-Buddhismus, heute besser unter dem japanischen Namen Zen bekannt. In China nennt man Bodhidharma Ta-Mo oder Damo und in Japan Durma.

Bodhidharma war sowohl in Staatskunde,höfischer Etikette, den buddhistischen Lehren als auch im Vajramushti bestens ausgebildet, einer indischen Kampfkunst, die das spätere Shaolin Kung Fu nicht unerheblich beeinflußte.

Bodhidharma verließ seine indische Heimat südlich von Madras und zog nach Kanton (China). Er war zunächst per Schiff unterwegs und wanderte über den Himalaja. Etwa um 520 n. Chr. traf er Wu-Di, den chin. Kaiser. Diesen verwunderte und beeindruckte er durch seine Behauptung, daß das Tun guter Werke nicht notwendigerweise zur Erleuchtung und Erlösung führe. Eine Legende berichtet, daß Bodhidharma den verwunderten Kaiser verließ, nachdem dieser ihn geprüft hatte und Bodhidharma die Prüfung bestanden hatte.

Einer anderen Legende zufolge kehrte Bodhidharma enttäuscht dem Kaiserhof den Rücken. Dies ist nicht verwunderlich, da es in dieser Zeit eine wahre Flut von missionierenden indischen Mönchen in China gab, von denen etliche am Kaiserhof vorstellig wurden. Die chinesischen Kaiser jedoch, fest im Konfuzianismus verankert, lehnten buddhistisches Gedankengut eher ab.

Nach seinem Aufenthalt am kaiserlichen Hof zog Bodhidharma in die Songshan-Berge in das Kloster Shaolin, wo er, so die Berichte, neun Jahre in einer Höhle oberhalb des Klosters verharrte und meditierte, bis er erleuchtet wurde.

Es wird berichtet, daß er während seiner neun Jahre anhaltenden Meditation einmal eingeschlafen war. Um zu verhindern, daß dies noch einmal passiert, schnitt er sich die Augenlider ab. Der Legende nach wurden aus diesen Augenlidern die ersten Teepflanzen.

Daher wird auch die Teezeremonie, die ja eine Zen-Zeremonie ist, von den Mönchen zur Ehre Bodhidharmas ausgeführt.



 

Die 10 Ochsenbilder

nach Meister Kakuan

Die Zehn Ochsenbilder resümieren den kulturübergreifenden oder zeitlosen Entwicklungspfad Dharma (Das, was trägt, hält oder heilt), wie ihn der historische Buddha beschrieben hat. Die Hauptelemente dieser Symbole sind ein Ochse (Geist) und ein Mensch (Erwachender).

 

Suche

1) Die "Suche" nach dem Ochsen:

Der Mensch kommt auf den Inneren Weg. Er ahnt, dass der Motor des geistigen Kreislaufes der Wiedergeburten der eigene, unbändige Geist ist. Er sucht ihn (zu verstehen), um dieses Grundproblem endgültig zu lösen. Der Kreislauf der Wiedergeburten ist letztlich bloß das fortwährende Sichidentifizieren mit den Dingen, aus dem fixierenden Bewusstsein von "Ich und Mein", bzw. Durst und Ergreifen in den Inneren Zwängen (wie Verlangen, Abneigung, Geiz, Stolz, Neid, Trägheit, Aufgeregtheit, Zweifelsucht usw.). Dies führt zu ständigem Hineingeborenwerden in die fließenden Phänomene (Geburt), damit zwangsläufig auch zum Dahinschwinden (Altern) und Vergehen (Sterben) mit ihnen. Der Grund dafür ist: Im Unwissen wird nicht gesehen, dass alles ständig fließt, letztlich keinen festen Stand bietet, sondern das ungreifbare Nicht-Selbst ist. Die nach dem Tod erfolgende Wiedergeburt setzt die lebensimmanenten Zyklen bloß fort, wobei die im Leben vorherrschende Bewusstseinsqualität die Existenzform danach bestimmt.

 

2) Das "Sehen" der Fußspuren:

Der Mensch nimmt die Macht dieser Leidursachen Nichtsehen, Durst und Ergreifen, die uns leidvoll an die Dinge fesseln, jetzt realistisch wahr. Er macht sich also nichts mehr vor. Er wählt als innerlich immer und überall frei zugängliche, machtvolle Hilfe die Drei Freiorte. Sie bedeuten der A) Buddha (als das eigene Potential, voll zur Höchsten Realität zu erwachen), der B) Dharma (als der universelle Innere Weg des Dharma, der wirklich verlässlich trägt; nämlich Ethische Motivation, Geistige Ruhe oder Intuitives Wissen aus wachsender Trefflicher Achtsamkeit, bzw. einer die wahre oder "Selbst"-lose Natur aller Dinge treffenden Achtsamkeit), sowie der C) Sangha (als die stützende, tief fördernde Gemeinschaft aller ernsthaft den Inneren Weg Beschreitenden und ihn Verwirklichenden).

Fußspuren

 

Erblicken

3) Das "Erblicken" des Ochsen:

Der Mensch beginnt die Höchste Wahrheit zu erschauen: Die Vier Edlen Wahrheiten (vom Leiden, der geistigen Leidensursache, des Leidensendes, und des Inneren Weges dahin), sowie die Drei Daseinsmerkmale (Flusshafte Vergänglichkeit alles Bedingten, deren letztliche Nichttragfähigkeit, und somit das Nicht-Selbst aller Dinge; dies heißt alles Bedingten sowie des Unbedingten Nirvâna, das auch nicht greifbares "Selbst" ist). Er beschreitet nun fest entschlossen den Achtfachen Befreiungspfad des Erwachten, der resümiert lautet: Ethische Motivation, Geistige Ruhe oder Intuitive Einsicht aus wachsender Trefflicher Achtsamkeit.

 

4) Das "Fangen" des Ochsen:

Der Mensch hat auf dem Weg der Trefflichen Achtsamkeit und Meditation (dies heißt der Trefflichen Achtsamkeit in systematisch eingeübter Form) den großen Turning Point erreicht. Jetzt "packen" die Zentrifugalkräfte der Inneren Zwänge nicht mehr ihn, sondern er "packt" sie.

Fangen

 

Beherrschen

5) Das Beherrschenlernen des Ochsen:

Die eigene Gehkraft in Richtung hin zur stillen Mitte im eigenen Herzgeist ist nun größer als die Macht der inneren Leidursachen geworden. Unter der Macht dieser Leidursachen herrscht gewöhnlich geistige Rotation, bzw. Existenz in den äußeren Bereichen einer noch rotierenden Geistestrommel. Durch Selbstbefreiung kommt der Wahre Mensch oder Edle (Ariya, Arier) in einem selbst zum Vorschein.

 

6) Den Ochsen nach Hause reiten:

Im irreversibel ungetrübten Sehen der Höchsten Wahrheit (dass alles fließt, nicht echt trägt, im allbezogenen Nicht-Selbst) kommt der Erwachende jetzt Flöte spielend zu sich nach Hause. Die Absichten sind geläutert: Das Karma verstrickt nicht mehr. Positives oder negatives Karma ist die heilsame oder unheilsame Qualität der eigenen Absichten. Im wechselseitigen Abhängigen Entstehen bzw. dem großen Netz aller Dinge führt die Qualität der eigenen Absichten gesetzhaft zu unterschiedlichen Ergebnissen, nämlich als Rückwirkungen für den absichtsvoll Handelnden. Weil die Absicht hier tief geläutert ist, entsteht bloß noch Glück, Stille, Freiheit, wahre Liebe.

Reiten

 

Vergessen

7) Der Ochse ist vergessen:

Der Mensch hat die erste der Endgültigen Befreiungsstufen verwirklicht, den Stromeintritt. So sitzt er still bei sich selbst zuhause, dies heißt im ungetrennten Spiel der natürlichen, bzw. von jedem "Selbst" freien Großen Elemente. Diese umfassen die alldurchdringenden Spürqualitäten "Erde" (Gewichtiges, Festes, Widerständiges oder Sichtbares), "Wasser" (Flüssiges, flexibel Zusammenbindendes oder Konturengebendes), "Feuer" (Temperiertes, Energiegegebendes oder Aufzehrendes), sowie "Luft oder Wind" (Bewegtes). Sie sind gleichsam alles Materielle auf der Ebene unseres direkten Körperempfindens, dies heißt nichts "Ding"-haftes, wie es der Fixierung des (oder auch auf ein) "Selbst" erscheint.

 

8) Leerer Kreis, ohne Ochse, ohne Ich:

Der Mensch fühlt "sich" jetzt nicht einmal mehr "frei" von irgend "etwas". Denn er sieht die wahre Natur aller Dinge, die universelle Leerheit von einem "Selbst". So ist er auf nichts mehr fixiert, auch nicht auf "seine Freiheit". Mit dem altindischen Meister Nâgârjuna gesagt: Alles ist leer von einem Selbst; also ungetrennt, und genau darin voller Sinn, Freude, Freiheit, wahrer Liebe.

Leere

 

Rückkehr

9) Die Rückkehr zur Quelle:

Eine Wildnis. Denn die Schau dieser wahren Natur der Allleerheit ist gar nicht abstrakt: "Sichtbares ist Leerheit, Leerheit ist Sichtbares. Das Gleiche gilt für Empfindungen, Bewusstsein, Willensakte und Wahrnehmung", wie es im Herz-Sûtra des Zen heißt.

 

10) Ganz mit den Menschen sein:

Ein Befreiter befreit naturgemäß andere. Denn er steht jetzt in der wahren Realität des verwobenen Netzes aller Dinge. Hier arbeitet er mit den Geschickten Mitteln (Upâya Kaushalya), um stets gemäß der konkreten Situation und individuell befreiend zu wirken. "Er ist in der Welt, aber nicht von ihr", so wie die Lotusblüte im Schlamm wurzelt und sich ganz davon ernährt, aber zugleich in Duft und Schönheit darüber steht. Das Nirvâna ist eine mitfühlende Sache. Weisheit bedeutet wahre Liebe.

Ganzsein